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Hypothermie – der gefährliche Fall ins kalte Wasser

Ihr gleitet mit eurem SUP über den glitzernden See – was für ein herrlicher Wintertag! Jetzt noch schnell ein Foto machen. Und da passiert es – platsch – ihr landet im eiskalten Wasser. Schlagartig läuft jetzt in eurem Körper ein automatisches Programm ab. Ihr könnt das nur bedingt beeinflussen. Euer Problem ist jetzt das kalte Wasser, was u.a. zum lebensbedrohenden Zustand mit dem medizinischen Terminus „Hypothermie“ führt. Aber was passiert da eigentlich mit euch und in eurem Körper?

Wir haben dazu den Mediziner Dr. Lothar Schwarte von der Amsterdamer Universitätsklinik (Universitair Medische Centra/UMC) ausführlich zum Thema Hypothermie interviewt:

Lothar, Du bist ja Anästhesist und Notarzt. Wieso interessiert Dich das Gebiet Medizin im Tauch-/Wassersport?

Mit dem Tauchsport habe ich etwa zu Beginn meines Studiums angefangen. Im Laufe meiner Spezialisierung zum Anästhesisten, also landläufig zum „Narkosearzt“, habe ich vielfach Anästhesie-Kollegen kennengelernt, die ebenfalls Taucher waren. Eine Erklärung für diese Interessenskombination ist wohl, dass sich wichtige Grundlagen beim Tauchen und in der Anästhesie überlappen, wie z.B. das Wissen um Atemgase oder die Druckverhältnissen im Körper.

Notärzte sind oft, so auch in meinem Fall, Anästhesisten mit einer besonderen Weiterbildung in der außer-klinischen Notfallbehandlung. Regelmäßig werden wir zu Notfällen gerufen, bei denen das Opfer ins Wasser gestürzt ist. Hypothermie, also die Unterkühlung des Körpers, ist oft eine wichtige Folge hiervon.

Als Taucher sympathisiere ich also generell mit Wassersportlern, als Notarzt will ich gerne meine Kenntnis und Erfahrungen teilen und zu einem sicheren Wassersport beitragen.

Ein Spruch in der Paddelwelt lautet: „man zieht sich fürs Wasser und nicht die Luft an“. Trotzdem unterschätzen viele Wassersportler das Thema kalte Wassertemperaturen. Was passiert eigentlich mit mir und meinem Körper, wenn ich plötzlich ins eiskalte Wasser falle?

Hierbei sollte man sinnvollerweise unterscheiden zwischen Reaktionen, die sofort bzw. sehr schnell auftreten und Reaktionen, mit denen wir später zu tun haben.

 Das plötzliche Eintauchen in Wasser, v.a. kaltes Wasser, löst eine Reihe von unbewussten Reaktionen aus, die die verschiedenen Teilsysteme des Körpers betreffen können:

  • Das Herz bzw. die Herzfrequenz kann sich dramatisch verlangsamen, wodurch weniger Blut durch den Körper gepumpt werden kann. Dies allein kann bereits zum Bewusstseinsverlust führen, mit allen erdenklichen Folgen im Wasser. Diese Verlangsamung der Herzfrequenz auf Reize, wie plötzlicher Kaltwasserkontakt des Gesichtes, sehen wir auch bei gut trainierten, gesungen, jungen Menschen; diese sind also keinesfalls ‚immun‘ gegen diese Kältereaktion.
  • Der Kreislauf reagiert auf Kälte schnell mit dem Zusammenkneifen von Blutgefäßen zum Beispiel in Armen und Beinen, wodurch Blut zum Körperkern verschoben wird. Diese Umverteilung wird durch das Eintauchen in Wasser noch verstärkt. Diese Verschiebung wirkt zwar einerseits zunächst dem Wärmeverlust im Körperkern entgegen, kann aber zu einer Überfüllung der Blutgefäße im Körperkern führen, mit folgender Überlastung des Herzens und Herzversagen. Letzteres kann zwar jeden treffen, betrifft aber besonders Menschen, die bereits am Herzen vorerkrankt sind.
  • Andererseits bewirkt diese Blutumverteilung aus den Armen und Beinen, dass diese noch schneller auskühlen, was dann die Funktion der Nerven und Muskeln von Armen und Beinen beeinträchtigt.
  • Im Verlaufe der Unterkühlung treten somit weitere Effekte auf, wie Verlust von Feinmotorik, von Kraft, Ausdauer, und später auch Eintrübung bis zum Bewusstseinsverlust. Hierbei ist es wichtig zu verstehen, dass kaltes Wasser die Körperwärme viel schneller ableitet als Luft; die Wärme-Leitfähigkeit von Wasser ist etwa 25 mal höher als von Luft. Trotz verschiedener Schutzreaktionen des Körpers kühlen wir hierdurch im Wasser etwa 5 mal schneller ab als in Luft.

Falls man die Chance hat, auch nur teilweise aus dem kalten Wasser zu kommen (zum Beispiel sich mit dem Oberkörper auf seinen luftgefüllten, wasserdichten Rucksack zu robben), dann sollte man dies tun. Durch Wind fühlt sich dies zwar teilweise noch unangenehmer an, kann aber entscheidend vor Auskühlen schützen.

Stadien der Hypothermie
Körpertemperatur
Symptome
Stadium I
milde Hypothermie

„Frierreaktion“
32° – 35°C
  • Gefäßverengung
  • Muskelzittern
  • Herzschlag verschnellt
  • Atmung verschnellt
  • Verwirrtheit
  • Beeinträchtigung des Urteilsvermögens
  • Apathie
  • Aggressivität (auch gegenüber Rettern)
  • Koordinationsstörung
  • Lähmung
  • Körperkern wird zwar mit Blut versorgt, die Durchblutung der Extremitäten ab deutlich reduziert
Stadium II
moderate Hypothermie

„Erregungsabnahme“
28° – 32°C
  • Muskelstarre
  • langsame, unregelmäßige, flache Atmung
  • Schläfrigkeit, Bewusstseinstrübung
  • Reflexe werden abgeschwächt
Stadium III
schwere Hypothermie

„Lähmung“
24° – 28°C
  • Bewusstseinsstörung bis Koma
  • schwache Atmung bis Atemstillstand
  • lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen
  • Herzstillstand

Kann der Fall ins eiskalte Wasser auch tödlich sein?

Ja, der Fall ins kalte Wasser kann ganz sicher tödlich sein. Wie vorab geschildert kann der Kontakt mit kaltem Wasser – vor allem im Gesicht – bei einigen bereits zu einer plötzlichen, dramatischen Abnahme der Herzfrequenz führen, wovon auch gut trainierte, gesunde, junge Sportler betroffen sein können. Diese Abnahme der Herzfrequenz kann zu einem kurzfristigen Bewusstseinsverlust führen, wodurch der Verunfallte dann ertrinken kann.

Dies unterstreicht, wie sinnvoll Schwimmwesten oder Trockenanzüge als „floating devices“ auch für gute Schwimmer sind.

Ein „guter Schwimmer“ mit Black-Out ist einfach kein guter Schwimmer mehr!

Andererseits führt der plötzliche Fall ins kalte Wasser bei manchen auch zur exzessiven Blutdrucksteigerung und Herzrhythmusstörungen, ebenfalls mit möglichem Bewusstseinsverlust und dann Ertrinken.

Bei anderen, die ungeschützt ins kalte Wasser fallen, kann der Kälteschock zum unwillkürlichen Einatmen von Wasser führen, wodurch die Person ertrinken kann. Auch dies kann bei gesunden, guten Schwimmern passieren. Sowieso kann sich die Atmung in Kälte unkontrolliert beschleunigen, wobei sie aber uneffektiv werden kann, z.B. weil sie weniger tief wird, ähnlich dem Hitze-Hecheln eines Hundes.

Neben all diesen mehr oder weniger plötzlichen Effekten, kann dann das Abkühlen von Nerven und Muskeln innerhalb weniger Minuten zur Unmöglichkeit der Selbstrettung führen, zur Unmöglichkeit zu Schwimmen und dann auch zum Ertrinken.

Erst später werden die Probleme durch das Auskühlen des Körperkerns bedeutsam: Offensichtlich lebensbedrohlich sind Rhythmusstörungen durch Unterkühlung des Herzens, wie in der Tabelle zu lesen. Eine ernsthafte Unterkühlung, wie sie auch in unseren Breiten entstehen kann, ist also sicher kein Komfortproblem, sondern kann lebensgefährlich sein (‚hypothermia can kill you‘).

Zusammenfassend kann der Fall ins eiskalte Wasser auf verschiedene Arten und zu verschiedenen Zeitpunkten tödlich sein, wobei eben auch gesunde, gute Schwimmer betroffen sein können.

Wie muss ich reagieren? Komme ich selbst wieder aufs Board und wieviel Zeit bleibt mir dazu?

Viele Faktoren spielen hierbei eine Rolle. Idealerweise hat man sich schon weit vorab auf diese Situation vorbereitet, körperlich, mental und natürlich auch bezüglich der Ausrüstung.

Die körperliche Vorbereitung beinhaltet die allgemeine Fitness, aber auch die trainierte Routine, um wieder aufs Board zu kommen. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass diese Aufgabe rein körperlich im Winter schon erschwert wird, z.B. durch eine weniger praktische und schwerere Winterausrüstung (dickerer Neopren- bzw. Trockenanzug), aber auch durch den zügigen Verlust meiner Grob- und Feinmotorik durch die Kälte.

Der mentale Aspekt darf auch nicht unterschätzt werden: Wer gänzlich unvorbereitet ist, kann in einer solchen Situation schnell in Panik geraten und allerlei energiezehrende, unsinnige Handlungen tun. Panik kann überschnelles atmen fördern, was -neben der Kälte selber- unter anderem zur Störung der Motorik und Krämpfe der Hände führen kann („Pfötchenstellung“), wodurch meine Handlungen noch uneffektiver werden. Tritt diese „Pfötchenstellung“ auf, oder sind Armnerven und Armmuskeln unterkühlt, kann der Paddler auch beim vollem Bewusstsein eventuell sein Brett nicht mehr greifen und ein Aufsteigen aus dem Wasser kann hierdurch unmöglich werden.

Es ist leicht vorstellbar, wie dieser Teufelskreis aus Panik und uneffektiven Handlungen dann zur völligen Unfähigkeit zur Selbstrettung und Erschöpfung führt.

Die zumeist gelehrte Strategie für ähnlichen Situationen, z.B. beim Tauchen, ist das „Stop-Breath-Plan-Act“ – Mantra, wobei ich mich also zunächst zwinge, meine aktuellen, offensichtlich nicht erfolgreichen Handlungen zu unterbrechen, mich kurz -aber bewusst- fokussiere auf eine ruhige Atmung, und dann einen neuen Plan bedenke und umsetzte („10 Sekunden für 10 Minuten“).

Wieviel Zeit mir bleibt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa den äußeren Umständen (z.B. Wassertemperatur), aber sicher auch meiner Ausrüstung. So bietet ein Trockenanzug mit Skiunterkleidung einen besseren Schutz als ein zu dünner Neoprenanzug.

Generell überschätzen aber viele die Zeit, die im kalten Wasser zur Selbstrettung verbleibt.

Ein wichtiger Grund ist, dass Kälte die Selbstrettsamkeit schnell abnehmen lässt: Kraft und Feinmotorik nehmen schnell ab. Es ist nicht übertrieben: Jede Minute zählt.

Wir raten ja beim Paddeln immer mindestens zu zweit unterwegs zu sein. Damit hat man beim Paddeln im Idealfall rettende Hilfe. Was kann und sollte mein Paddelpartner als Soforthilfe unternehmen?

Es ist sehr sinnvoll, wie auch beim Tauchen, immer zu minimal zweit unterwegs zu sein. Zudem sollte man bei Freunden oder Familie angeben, wo man ist und wann man zurück sein will, was besonders wichtig im Winter ist: Im Winter wird es „schnell dunkel“, was eine Selbstrettung, Partnerrettung und natürlich auch Rettung durch 3. deutlich erschwert.

Kleidung in Signalfarben, Reflektoren und Leuchten können hierbei wirklich lebensrettend sein. Ein Leash zum Board hat neben den offensichtlichen Vorteilen für den SUP’ler auch noch den Effekt, dass das Board durch Retter viel einfacher gefunden wird als das (damit verbundene) Opfer.

Zudem sind die Gewässer im Winter oft kaum noch frequentiert, wodurch eine Rettung durch andere, zufällige Besucher viel unwahrscheinlicher ist.

Ein zur Hilfe kommende Paddelpartner oder andere Retter müssen unbedingt auch ihre eigene Sicherheit beachten. Es kommt leider immer wieder vor, dass ein wohlmeinender Helfer ins Wasser springt und dann selber zum zweiten Opfer wird. Dies passiert, falls auch der Helfer die Umstände unterschätzt, oder unterschätzt, welche Gefahr leider auch vom Erstopfer ausgehen kann, z.B. durch ‚Anklammern‘ in seiner Panikreaktion an den Retter, oder durch Hypothermie-verursachte Aggressivität.

Wenn ich mich oder meinen Partner aus dem Wasser gerettet habe, sollte nasse Kleidung sofort entfernt werden, und der Körper flott, aber gründlich abgetrocknet werden. Das Opfer sollte in einen warmen, windgeschützten Raum (z.B. das Auto) verbracht werden und trockene Kleidung angezogen.

Da der Kopf ein wichtiger Wärme-Abstrahler ist, sollte man auch in windgeschützter Umgebung dem Opfer eine Mütze aufsetzten. Keinesfalls sollte man dem Unterkühlten alkoholische Getränke zu trinken geben, aber man kann ihn auffordern, sich aktiv zu bewegen.

Sogenannte „Rettungsdecken“ sind eine sehr sinnvolle Anschaffung in diesem Zusammenhang: Sie nehmen kaum Platz weg, wiegen nur wenige Gramm, sind für wenige Euros zu bekommen und „ewig“ haltbar.

Hauptzweck dieser Foliendecken ist der Schutz vor weiterer Wärmeabstrahlung. Hierzu wird die zweifarbige Rettungsdecke so angebracht, dass die goldene Seite nach außen, also zur Kälte hin, weist („gold towards cold“ oder „cold outside ? gold outside !“) und entsprechend die silberne Seite zum Opfer. Ich empfehle, sich eine Anzahl dieser Decken zu besorgen und an verschiedenen Stellen zu deponieren (Auto, Sportrucksack, etc.), denn: Die beste 1. Hilfe-Ausrüstung ist immer die, die man dabei hat!

Abschließend kann man zusammenfassen: Die Gefahr durch Kälte und speziell durch den Sturz in kaltes Wasser wird sicher häufig unterschätzt, eine gute Vorbereitung ist daher wichtig. Mit einer guter Vorbereitung ist es nicht nur sicherer, sondern ein Trip macht mit guter Vorbereitung und passender Ausrüstung einfach viel mehr Spaß, wenn man z.B. nicht kältezitternd auf dem Board steht …

Herzlichen Dank Lothar für Deine ausführlichen Antworten!

Das Interview haben die SUPscouts Ende Dezember 2020 geführt.

Unsere Tipps für eine entspannte Winter SUP Tour: nehmt immer eine Rettungsdecke mitnehmt immer ein voll geladenes Handy mitspeichert wichtige Notrufnummern im Handytragt im Winter immer eine Schwimmweste. Fallt ihr ins Wasser, bleibt euer Kopf so meist über Wasser eine Kopfbedeckung einen Trockenanzug ein Teil eurer Kleidung sollte hell, auffällig und bunt nutzt immer eine Leash (ausser auf Fließgewässern)immer dabei: Ersatzkleidung (im Auto oder im Drybag dabei)schnell wieder aufs Brett, wenn ihr ins Wasser fallen solltet.
Übt das im Sommer, vor allem auch mit einer Schwimmweste!handelt im Notfall ruhig und bewußt: Stop-Breath-Plan-Act stoppt alle Handlungen atmet kontrolliert plant bewußt eure nächsten Schritte und handelt dann

Mit freundlicher Genehmigung durch

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